Regentropfen
Sonnenstrahlen sind recht unstrukturierte Zeitgenossen. Sie scheinen kreuz und quer durch Baumwipfel oder unterschiedlich stark durch Wolken hindurch. Trotzdem stehen viele Leute in der Regel sehr auf Sonnenstrahlen. Das ist verwunderlich, da der Mensch bekanntermaßen ja eher zu geordneten Strukturen neigt – besonders der Deutsche.
Regentropfen mag er erstaunlicher Weise nicht so sehr, obwohl sie sich durch ein außergewöhnlich hohes Maß an Disziplin auszeichnen. Das beginnt schon bei der Grundaufstellung oben am Himmel – alle in Reih und Glied. Sie ziehen alle am gleichen Strang. Da tanzt keiner aus der Reihe, und die Zwischenabstände werden peinlichst genau eingehalten. Alle sind gleich groß, keiner fliegt zu schnell oder zu langsam. Dagegen wirkt selbst eine nordkoreanische Militärparade wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen.
Und so stürzen sie sich hinunter – Milliarden von Regentropfen. Was für uns das Paradies im Himmel ist , das ist für Regentropfen das Meer, der See, der Fluß, der Bach, der Tümpel, die Pfütze… Was die Frage aufwirft, ob is im Himmel wirklich so toll sein kann, wenn alle Regentropfen freiwillig von dort abhauen.
Natürlich gibt es auch ein paar böse Regentropfen. Die müssen entweder oben bleiben oder landen im Feuer oder aber schlimmstenfalls direkt bei mir auf dem Haupt, was freilich dann ihren unmittelbaren Tod zur Folge hat, weil ich sie dann meistens direkt erschlage. Das ist zwar zugegebener Maßen etwas brutal und äußerst dramatisch, aber einige haben dieses Schicksal wohl auch verdient.
Denn – sind wir mal ehrlich: Auch bei Regentropfen ist nicht alles Gold, was glänzt. Sie sind u. a. Vertreter einer männerdominierten Welt, nämlich dem Himmel, in dem es zwar ingestalt der Hl. Jungfrau Maria auch eine Quotenfrau gibt – aber natürlich nur, weil dort selbstverständlich auch jemand als Küchenhilfe gebraucht wird. Ansonsten werden Frauen allerdings konsequent ausgegrenzt – Regentropf:innen dürfen da leider nicht mitmachen.